Alle diejenigen, die dieses Jahr nicht in die Weihnachtsgottesdienste kommen können oder möchten, laden wir zu unserer Weihnachtsandacht im Internet ein.
Den Film können Sie auch in in hoher Auflösung anschauen.
Weihnachtsmusik
eingespielt von Matthias Haus
Gedanken zur Christvesper 2020
von Pfr. Dr. Dietrich Klein
Verkündigung aus der Heiligen Schrift, wie wir sie von den Gottesdiensten zur Christvesper sonst kennen, muss in diesem Jahr ruhen. Verkündigung geschieht in der leibhaftigen Begegnung von Menschen, also im Kontakt, und wird zusammen mit dem Kontakt zu Menschen reduziert. Wir alle hoffen, dass Kontakt und Verkündigung bald wieder zunehmen werden. Bis dahin müssen wir uns aber beschränken und die Verkündigung ersetzen durch einen schriftlichen Beitrag.
Der Beitrag soll anregen zur geistlichen Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift, mit eben dem Abschnitt aus dem Propheten Jesaja, den wir in diesem Jahr zur Christvesper als Predigttext gehört hätten. Auch beim Propheten Jesaja geht es um Verkündigung und um die Erwartung zukünftigen Kontakts, eines Kontakts des Gottesvolkes Israel mit seinem Messias (Jesaja 11,1–10):
Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt. Und es wird geschehen zu der Zeit, dass die Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Völker fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.
Was erwarten wir von dem Messias, wenn er kommt? Als Christen sind wir gewohnt, den Messias im Stall von Bethlehem zu erwarten und mit dem Blick des Evangelisten Lukas das Jesuskind in der Krippe zu betrachten. Alle Jahre wieder kann uns das als ein schönes Bild erscheinen. Ochs und Esel wachen da über dem schlafenden Kind. Maria und Josef betrachten es froh.
Wenn es diese Bilder sind, die wir von dem Messias erwarten, werden wir am Heiligen Abend nicht enttäuscht. Der Stall von Bethlehem gehört zum Christfest, und er steht inmitten unserer Familien – nicht selten direkt im Weihnachtszimmer dort, wo wir die Krippe aufgebaut haben. Auch diese Weihnachten wird er da sein, und in der Betrachtung des Jesuskindes wird uns klar werden, dass eigentlich nichts fehlt und dass der Messias, den wir zu erwarten gewohnt sind, da ist. Lediglich die Familie, die ihn umrahmt, mag in diesem Jahr etwas ausgedünnt erscheinen. An Kontakt mangelt es vielen.
Der Messias, von dem Jesaja spricht, ist aber kein solcher, der schon bei uns ist. Jesaja spricht von dem Messias, den die Menschen erwarten, ohne ihn schon zu kennen, von dem, der erst noch kommen wird. Das ist – zumindest in der Perspektivität – ein ganz anderer Messias als der, den wir aus dem Lukasevangelium kennen. Notgedrungen muss Jesaja von ihm sprechen wie ein Tastender im Dunkeln. Seine Worte umschreiben den, der da kommen soll, ohne ihn in allzu konkreten Vorstellungen gefangen zu nehmen. Genau das verleiht seiner Verheißung Leben, denn sprachlich wird der Messias davor bewahrt, von unseren menschlichen Erwartungen erstickt zu werden. Der Kontakt zu ihm wird zum Abenteuer und zur Herausforderung.
Wenn wir Jesajas Verheißung lesen, halten wir uns womöglich gern an die schönen Bilder, die auch er uns anbietet. Wolf und Lamm, Kalb und Löwe weiden da friedlich miteinander. Das Kind spielt unversehrt neben einer giftigen Schlange. Will der Prophet uns hier ein Bild zeichnen von dem kommenden Reich des Messias? Wir müssten ihm vorwerfen, dass er ein schönes, aber letztlich doch wertloses Bild zeichnet, denn Friede und Gerechtigkeit unter Menschen sähen anders aus und wären sehr konkret zu beschreiben.
Aber möglicherweise geht es Jesaja bei der Auswahl der Bilder gar nicht darum, die Zukunft abzubilden. Die Bilder entstammen dem Alltag. Sie zeigen das, was im Alltag so nicht zu erwarten ist. Natürlich muss der Wolf das Lamm reißen und die Schlange das Kind stechen, wenn die Eltern nicht aufpassen. Im Zeichen des kommenden Messias tritt das, was wir erwarten, aber zur Seite, und es geschieht das, was wir schlechterdings nicht erwarten, obwohl es unser Herz vielleicht insgeheim wünscht. Im Kontakt mit dem Messias kann es zu Überraschungen kommen.
Wie geschieht das? Durch den Geist, den der Messias bringt. Es ist der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn, lernen wir zu Beginn der Verheißung. Das, was dem Geist da beigelegt wird, mag uns zunächst befremden, denn es scheint einer Welt zu entstammen, von der wir wenig wissen. Weisheit, Erkenntnis, Furcht des Herrn – das alles wird Menschen zuteil, die sich im Studium der Tora üben, die die Bücher Mose lesen und kennen, die in jedem Buchstaben die Liebe Gottes suchen und aufnehmen. Das ganze Leben kann dem Weisen zu einem solchen Studium der Schrift werden.
Wenn uns das vielleicht fremd scheint, können wir versuchen, ein einfaches und zeitgemäßes Wort zu finden. Das ist nicht leicht, und es verkürzt vieles von dem, was Jesaja uns sagt. Aber im Kern scheint es um Achtsamkeit zu gehen. Im Kontakt mit dem Messias und dessen Geist werden Menschen achtsam.
Viele Menschen hoffen diese Weihnachten, dass der Kontakt wieder zunimmt. Die nächsten Monate werden uns, so Gott will, eine Lockerung der Pandemieauflagen bescheren. Viele freuen sich schon darauf, erneut gesellig zu werden, andere zu treffen und in die Arme zu schließen. Auch die Verkündigung in der Kirche wird bald wieder möglich werden. Das ist eine schöne Zukunft, auf die wir uns freuen können.
Wenn wir diese schöne Zukunft erwarten und ihr begegnen wollen im Geist des Messias, wie Jesaja ihn uns verheißt, sollten wir uns bereit machen, achtsam zu werden. Jeder Kontakt, auf den wir uns zu Recht freuen, ist ein Abenteuer. Begegnungen zwischen Menschen können ge- und misslingen. Nach Monaten der Isolation wäre es falsch zu meinen, jeder Kontakt nach so langer Zeit müsse glücklich enden. Eher wird es wichtig sein, sich wirklich Zeit zu nehmen füreinander, einander zuzuhören, uns zuzugestehen, dass wir uns verändert haben, und uns zu achten.
Die weite Welt der Achtsamkeit, der Weisheit und des Torastudiums hat unser Messias Jesus Christus einmal zusammengefasst im Doppelgebot der Liebe (Lk 10,27): Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Wenn wir glauben, dass diese Worte den Geist auch jenes Messias beschreiben, von dem Jesaja spricht, dann sollten wir auch den ebenso schönen wie überraschenden Schilderungen des messianischen Friedens noch einmal Beachtung schenken, denn sie verheißen uns etwas Wichtiges: Wo wir im Geist der Gottes- und Nächstenliebe achtsam uns begegnen, da wird in unserem Kontakt etwas geschehen, das wir schlechterdings nicht mehr erwarten, obwohl es unser Herz vielleicht insgeheim wünscht.
Was wird das sein? Der Messias wird es uns spüren lassen, und wenn wir es spüren, werden wir wissen, dass unser Messias sehr nah ist.
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